Rezension: Verspielt | Roman Klementovic

by Wolfgang Brandner
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Als Martin Fink von einer Dienstreise nach Hause kommt, fehlt von seiner Frau Maria jede Spur. Er findet jedoch einen Brief mit der Anleitung zu einem grausamen Spiel. Nur wenn Martin die Regeln befolgt und innerhalb von drei Tagen den Grund für Marias Entführung herausfindet, kann er sie vor dem Tod bewahren.

Zur gleichen Zeit bekommt auch der kleinkriminelle Klaus Richter einen solchen Brief – seine Schwester ist ebenfalls spurlos verschwunden. Doch Klaus hat noch ein weiteres Problem: Ein mächtiger Drogenboss, dem er Geld schuldet, hat seine Schlägertypen auf ihn angesetzt.

Der von privaten Problemen geplagte Bezirksinspektor Mück wurde aufgrund anhaltender Differenzen mit seinem Vorgesetzten von der Mordgruppe zur Drogengruppe versetzt. Dort bekommt er den vermeintlich langweiligen Auftrag, einen Gebrauchtwagenhändler zu beschatten. Doch dieser verhält sich äußerst seltsam. Mück beginnt zu ermitteln und gerät in ein tödliches Spiel …[Text + Cover: Gmeiner Verlag]

Überspitzt ausgedrückt gibt es zwei Arten von Rezipienten österreichischer Literatur: Jene, die dem Stil von Wolf Haas verfallen sind und jene, die in diesem einen Affront auf das eigene Sprachempfinden erkennen. In der Tat prädestiniert seine Orientierung an der Umgangssprache die Brenner-Romane geradezu für die Verfilmungen, ist aber beim Lesen sehr gewöhnungsbedürftig.

Von diesem Stil stark beeinflusst wirkt auch der junge Wiener Autor Roman Klementovic, der den Leser mit seinem Debütroman “Verspielt” in das Milieu zwischen Gemeindebau und Würstelstand führt. Seine Figuren haben Dreck unter den Fingernägeln, stolpern ungeschickt über Wasserkübel im Stiegenhaus und leiden massiv unter den Nachwirkungen durchzechter Nächte. Ihre Sprache ist ungewaschen und erweckt den Eindruck, als hätte der Autor in Kaffehäusern und Parks mit Notizblock bewaffnet seine Mitmenschen belauscht. Da wimmelt es von Ausdrücken wie “deppert”, “Kieberer” und “übernasern”, von denen nicht sicher ist, daß sie außerhalb Österreichs verstanden werden. Unliebsame Zeitgenossen werden als “Wappler” und “Trutschen” beschimpft, die geistige Gesundheit des Gegenübers wird mit einem herzhaften “San’s varruckt?” offen angezweifelt. Wo bei Regionalkrimis eine lokal gefärbte Sprache oft sperrig und wie nachträglich eingepaßt wirkt, verbiegt sich Klementovic hier keinen Millimeter. Durch Redeweise, Gewohnheiten und Alltagsumgebung seiner Figuren vermittelt er kompromisslose Authentizität, die dem Roman eine kantige Direktheit verleiht, den Leser mitten ins Geschehen zwingt. Indem die lebenspendenden linguistischen Unschärfen jedoch den handelnden Personen vorbehalten bleiben, kann Klementovic als eine entschärfte Variante von Wolf Haas gelten, eine Polarisierung wie beim Vorbild dürfte also ausbleiben.

Was der lokalen Prägung außerdem zugute kommt, ist die personale Erzählperspektive. Es gibt keine neutrale Erzählerinstanz, stattdessen wird jede Situation jeweils aus der Sicht einer bestimmten Figur geschildert. Deren Gedanken sind oft die einzige Informationsquelle für den Leser, sodass dieser niemals unvoreingenommen beobachten kann und auf die (nicht immer ungetrübte) Wahrnehmung des jeweiligen Charakters angewiesen ist. Die Erzählung wird somit zu einem Mosaik an persönlichen Befindlichkeiten und inneren Monologen. Eine Art von Scheinobjektivität entsteht nur in Schlüsselszenen, die hintereinander aus der Sicht aller Beteiligten geschildert werden.

 

 

Die Geschichte selbst – Manipulationen eines Entführers seiner Opfer und ihnen nahe stehenden Menschen – ist weder neu noch originell. Sadistische Rätselspiele und Deadlines im wahrsten Sinne des Wortes sind aus Thrillern amerikanischer Prägung wohlbekannt. Trotz (oder vielleicht sogar wegen) dieser Vertrautheit stellt dieses Element ein probates Mittel zum Spannungsaufbau dar, das auch dieses Mal seine Wirkung nicht verfehlt. Den zentralen Handlungsort vom Profilerbüro in die Wiener Außenbezirke zu verlagern, ist eine erfrischende Idee. In der Kombination dieser beiden Elemente – Psychospiel und Lokalkolorit durch die Launen der Figuren – kommt leider ersteres zu kurz. Zwischen austretenden Körperflüssigkeiten aller Art, durch Ungeschicklichkeit verursachte Verletzungen und kulinarische Vorlieben kann sich das, was dem Roman eigentlich als Triebkraft dienen sollte, nur schwer behaupten. Der Zeitdruck bis zum Ablauf der Frist ist zwar vorhanden, aber für den Leser nicht immer so deutlich spürbar, daß die Seiten beim Umblättern auf den Fingern Brandblasen hinterlassen würden.

Wie der Website des Autors zu entnehmen ist, befindet sich der nächste Band um Kommissar Robert Mück bereits in Planung. Zwar ist dieser zweifellos als Sympathieträger konzipiert, dem es obliegt, die finale Konfrontation mit dem Entführer aufzulösen, jedoch ist er zu wenig deutlich als Hauptfigur erkennbar. Eine Zuspitzung auf diese Figur bleibt aus, weder ist die Mitwirkung der Polizei zur Auflösung des Falles zwingend erforderlich, noch verfügt Mück über einzigartige Attribute, die ihn unverzichtbar erscheinen lassen. Demzufolge wird in einem weiteren Band der Zusammenhang wohl nur lose gegeben sein, doch darf man dem Autor zuversichtlich zutrauen, diesen geschickt herzustellen und seinem Ermittler noch schärfere Konturen zu verleihen.

 

Persönliches Fazit

Die Wiener Variante eines sadistischen Psychospiels, das durch ein hohes Maß an Blut, Schweiß und Erbrochenes das Urtümlich-Instinktive des Menschen in Extremsituationen zutage fördert … spannend erzählt von einem jungen Autor, dem man das Schreiben als Hauptberuf wünscht.

© Rezension, 2016 Wolfgang Brandner

 

Verspielt
Roman Klementovic
Thriller
Gmeiner Verlag - ISBN: 9783839217979
2015
Klappenbroschur, 312 Seiten
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Cara 29. Februar 2016 - 14:00

Danke für die Erinnerung an “Die drei Leben der Tomomi Ishikawa”, das klingt so schön ungewöhnlich! Ich hoffe, ich komme bald dazu, es zu lesen!
Liebe Grüße, Cara

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