Aufgelesen #19 | INGEBORG BACHMANN. ES KOMMEN HÄRTERE TAGE

by Wolfgang Brandner
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Aufgelesen #19

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Mit diesen Worten beginnt eines der bekanntesten Gedichte der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Sie wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren, würde also dieser Tage ihren 90. Geburstag feiern.
Würde.
Könnte.
Ingeborg Bachmann in jungen Jahren © BACHMANN-ERBEN
                                                                          © BACHMANN-ERBEN

Wäre sie nicht im September 1973 in Rom infolge eines tragischen Unfalls verstorben. In der Palazzo Sacchetti in der Via Giulia 66 mitten in Rom, wo sie zu dieser Zeit lebte, schlief sie mit einer brennenden Zigarette ein, die herabfallende Asche löste einen verheerenden Brand aus. Bachmann, zu dieser Zeit schwer abhängig von Beruhigungsmitteln, erwachte durch den Schmerzreiz nicht, den die Flammen auslösten.


Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.

Ihre Wiege, ebenso wie ihr Grabstein stehen in Klagenfurt, jener Stadt, die sie während ihres Schaffens immer nur als K. bezeichnete. Den Einmarsch Hitlers in dieser Stadt musste sie im Alter von 12 miterleben. Sie studierte in Wien, Innsbruck und Graz, veröffentlichte parallel zum Studium immer wieder Lyrik, prosaische Texte und Hörspiele als Redakteurin beim Rundfunk. Im Mai 1948 begegnete sie zum ersten Mal Paul Celan, mit dem sie in weiterer Folge eine Liebesbeziehung verband. Die beiden suchten und flohen einander abwechselnd, zueinander, voneinander. Ab 1953 lebte sie in Rom, bewohnte insgesamt acht verschiedene Palazzi. Ihre kreative Arbeit brachte sie in Kontakt mit der Gruppe 47, einem losen Zusammenschluss von Autoren, der sie fortan angehörte, von der sie gewürdigt wurde. In Paris traf sie 1958 mit Max Frisch zusammen und durchlebte mit ihm eine krisenreiche Beziehung abwechselnd in Zürich und Rom. Nach der Trennung nahm sie ein Stipendium für einen Aufenthalt in Berlin an, bereiste Prag, um schließlich in Rom anzukommen.

Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Ihr politisches Engagement manifestierte sich im Bruch mit dem Piper-Verlag. Im Dezember 1964 begegnete sie der russischen Dichterin Anna Achmatova, der sie in weiterer Folge das Gedicht “Wahrlich” widmete. Für die Übersetzung eines Lyrik-Bandes der Seelenverwandten schlug Bachmann Paul Celan vor. Klaus Piper entschied sich jedoch für Hans Baumann, einen ehemaligen Schergen des Nationalsozialismus. Ein Briefwechsel mündete in Bachmanns Resümee: “Ich ziehe die Konsequenzen, ich gehe weg.” (Weiterführendes: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46251845.html)

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Und was ist von ihr geblieben, was bringt ihr Name heut in uns zum Klingen?
Weit über den unmittelbaren Interessentenkreis hinaus bekannt ist der nach ihr benannte Literaturpreis, der heuer im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur zum 40. Mal verliehen wird. Der Ingeborg-Bachmann-Preis wurde 1976 in Gedenken an die Schriftstellerin gestiftet und wird seit 1977 jährlich während der mehrtägigen Veranstaltung Tage der deutschsprachigen Literatur verliehen. Er gilt als eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum.
“Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.” Die Grabinschrift ist wohl das bekannteste Zitat und entstammt ihrer Dankesrede für einen Hörspielpreis im Jahr 1959.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Als Teil ihres Vermächtnisses, vielfach sogar als ihr Lebenswerk bezeichnet, gilt der Romanzyklus “Todesarten”, bestehend aus den Teilen “Malina”, “Der Fall Franza” und “Requiem für Fanny Goldmann”. Der Übertitel taucht erstmals in einem Brief an ihren damaligen Verleger Klaus Piper vom Oktober 1963 auf. Als einziger der drei Teile ist “Malina” als vollständiger Roman abgeschlossen, die beiden anderen sind als Fragmente überliefert, Bachmann gelang es nicht mehr, sie fertigzustellen.
Henselstrasse, Ingeborg Bachmann: © Dreinagel, 22. Juni 2006, unterliegt der GNU Free Documentation License.
                                                                                    © Dreinagel, 22. Juni 2006, unterliegt der GNU Free Documentation License.
Die namenlose Protagonistin und Ich-Erzählerin ist in Klagenfurt geboren und lebt in Wien, die Parallelen zur Autorin sind unübersehbar. Das Grundthema ist die verzweifelte Suche einer Frau nach ihrer Identität, sich gegen die erdrückende Umarmung einer männlich dominierten Gesellschaft zur Wehr setzend. Sie ist eine zwischen zwei Männern Zerrissene. Auf der einen Seite steht Ivan, ihr ungarischer Ehemann, der aus beruflichen Gründen oft abwesend ist und dem Militärhistoriker Malina. Schließlich eskaliert der instabile emotionale Zustand, sie wird von männlichen Normen zermahlen und muss resignierend feststellen: “Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina”

Es kommen härtere Tage.

© Wolfgang Brandner

 

Quellen: Bild: Bachmann. © Bachmann-Erben. Quelle: Frankfurter Allgemeine Feuilleton
Url: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/neue-biographie-der-dichterin-die-vielen-gesichter-der-ingeborg-bachmann-12559845.html

Bild Henselstraße. © Dreinagel, 22. Juni 2006, unterliegt der GNU Free Documentation License. Quelle: Wikipedia
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