Hörbuch-Rezension || Todesurteil | Andreas Gruber

by Wolfgang Brandner
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Die FALSCHE SPUR führt in den ABGRUND …

In Wien verschwindet die zehnjährige Clara. Ein Jahr später taucht sie völlig verstört am nahen Waldrand wieder auf. Ihr gesamter Rücken ist mit Motiven aus Dantes “Inferno” tätowiert – und sie spricht kein Wort. Indessen nimmt der niederländische Profiler Maarten S. Sneijder an der Akademie des BKA für hochbegabten Nachwuchs mit seinen Studenten ungelöste Mordfälle durch. Seine beste Schülerin Sabine Nemez entdeckt einen Zusammenhang zwischen mehreren Fällen – aber das Werk des raffinierten Killers ist noch lange nicht beendet. Seine Spur führt nach Wien – wo Clara die einzige ist, die den Mörder je zu Gesicht bekommen hat. (Text und Bild: Der Hörverlag)

Ein Bildhauer wird gefragt, wie er es fertigbrächte, einen groben Steinklotz in eine feingliedrige Pferdefigur zu verwandeln. Seine lapidare Antwort: “Ich schlage alles weg, was nicht nach Pferd aussieht.”

Als ein verbaler Bildhauer erweist sich einmal mehr der österreichische Autor Andreas Gruber. Inzwischen gilt es als sein Markzeichen, zwei voneinander unabhängige Handlungsfäden parallel zu entwickeln, um sie schließlich in einer Synthese zusammenzuführen, die alle zuvor aufgeworfenen Fragen beantwortet. Was dem Künstler mit dem Meißel sein Fels, das ist für Gruber ein Gewirr an Handlungselementen, aus denen er – dem Witz folgend – alles wegerzählt, was nicht nach einem fertigen Roman aussieht.

Im aktuellen Werk “Todesurteil” wechselt in allerbester Cliffhanger-Manier die Aufmerksamkeit des Lesers zwischen zwei hochspannenden Ermittlungen: In Wien taucht nach einjähriger Gefangenschaft ein zehnjähriges Mädchen auf, in dessen Rücken Szenen aus Dantes Inferno tätowiert sind. Nicht zuletzt aus tief persönlichen Gründen begibt sich die Staatsanwältin Melanie Dietz auf die Suche nach dem Peiniger des Kindes. Währenddessen tritt die Münchener Kriminalbeamtin Sabine Nemez unter den Fittichen des Fallanalytikers Marten S. Sneijder ihre Ausbildung beim BKA in Wiesbaden an. Seit ihrer Zusammenarbeit im Vorgängerband “Todesfrist” sind die beiden dem Leser als ungewöhnlich sympathisches Team bekannt. Hartnäckig verbeißt sich Sabine in eine Serie exzessiv grausamer, scheinbar unzusammenhängender Mordfälle, nachdem ihr Freund Erik Dorfer im Zuge der Ermittlungen angeschossen wurde.

Lange Zeit fiebert der Leser zwar mit den beiden engagierten Protagonistinnen, bleibt jedoch über deren Verbindung im Unklaren. Nicht nur inhaltlich aus den beiden Plots mit ihren immer wieder offenen Kapitelenden an sich, gerade auch aus der Neugier über den tatsächlichen Zusammenhang bezieht der Roman seine Spannung, die tief eintauchen läßt. Auch vermag dieses latente Fragezeichen während der wenigen ruhigen Passagen den Leser konstant zu fesseln. Die Auflösung erweist sich schließlich als bemerkenswert nahtlos, wie geschmiert verzahnen sich die beiden Teile, in einer Art, die gar keinen anderen Abschluß zuläßt. Und scheint der Titel lange Zeit wie ein reißerisches Etikett, erweist sich in der Auflösung sein starker inhaltlicher Bezug.

Wie nun die hohe Spannung die Beziehung des Romans zum Leser gestaltet, so verleiht die Figur des Marten S. Sneijder ihm seine Einzigartigkeit, läßt ihn aus der Vielzahl an Thrillern über Serienmörder herausleuchten. Natürlich muß die junge Sabine Nemez unter der misanthropischen Schale des cannabisrauchenden Niederländers einen weichen Kern finden, natürlich ist sie die einzige, die von ihm mit Respekt behandelt wird, während er seine Umwelt mit Allüren terrorisiert. Dieser Topos gehört zum erzählerischen Repertoire wie die Ergreifung des Täters, vermittelt dem Leser so etwas wie Vertrautheit in der Figurenkonstellation. Andreas Gruber entwirft nicht nur einen ungewöhnlichen Protagonisten, dessen exzentrische Methoden alles andere als moralisch unbedenklich sind, er läßt auch eine vorsichtige Sympathie für diesen Antipathieträger empfinden. Als sperriges Duo im Vorgängerband eingeführt, das sich unfreiwillig miteinander arrangieren mußte, offenbart er nun die Persönlichkeiten von Nemez und Sneijder, indem er sie in alltäglichen Situationen agieren läßt, sie als rebellische Schülerin, ihn hin- und hergerissen zwischen Ausbildung und Verbrecherjagd.

Örtlich ist der Roman sowohl in Deutschland als auch in Österreich angesiedelt, wobei sich der Autor als präziser Kenner der behördlichen Prozedurden der Strafverfolgung erweist. Deren länderspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten nehmen Einfluß auf die Handlung, kleine Sticheleien der Figuren sorgen für behutsam dosierten Humor. Eher international und wenig wohlklingend sind da schon die Fäkalmetaphern, mit denen die Figuren ihren Unmut äußern.

Im Hörbuch stattet der deutsche Schauspieler Achim Buch die heimliche Lieblingsfigur mit einem grandiosen niederländischen Akzent aus, läßt ihn dabei wütend toben, herablassend seine Kollegen beleidigen und erschöpft nach Atem ringen. Als Erzähler bleibt er angenehm dezent, drängt sich nicht in den Vordergrund, läßt die Geschichte für sich sprechen. Wenn diese Herangehensweise in einem ersten Eindruck als Monotnie erscheint, würde eine zusätzliche Akzentuierung das Gesamterlebnis doch mehr beeinträchtigen als ihm nutzen. Allein, das Wiener Idiom ist eine sprachliche Herausforderung – es authentisch zu vermitteln, kann wohl nur Sprechern aus der österreichischen Hauptstadt gelingen.

 

Persönliches Fazit

Andreas Gruber beherrscht sein Handwerk einfach. Wieder einmal ist ihm mit “Todesurteil” ein spannender Thriller auf hohem Niveau mit originellen Figuren und kunstvoll verwobenen Handlungssträngen gelungen.

© Wolfgang Brandner

 

Todesurteil
Andreas Gruber
Der Hörverlag
Hörbuch, gesprochen von Achim Buch
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Nelly G. 27. April 2015 - 13:37

Huhu, ich hoffe, es ist dir recht, dass ich deine Rezi auf meinem Blog verlinkt habe.

Viele liebe Grüße und einen schönen Start in die verkürzte Woche
Nelly von Nellys Leseecke

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