Rezension || Denn es wird kein Morgen geben | Angelique Mundt

by Wolfgang Brandner
...

Ein neuer Fall für die Hamburger Therapeutin Tessa Ravens.

 

Als der beliebte Feuerwehrmann Martin König verschwindet, wird Psychotherapeutin Tessa Ravens vom Kriseninterventionsteam gebeten, sich um die Frau des Vermissten zu kümmern. Schnell findet Tessa heraus, dass dahinter Explosives steckt: König verschwand nach einem heftigen Streit mit seiner Frau. Die hatte auf seinem PC Fotos der gemeinsamen Tochter gefunden. Fotos, die ein Vater nie von seiner Tochter machen sollte. Dann wird Martin König tot aufgefunden. Hauptkommissar Koster übernimmt die Ermittlungen, ohne zu wissen, dass auch Tessa in den Fall involviert ist. Seit ihrer kurzen Affäre vor über einem Jahr herrscht Funkstille zwischen den beiden. Nun müssen sie sich zusammenraufen, in einem Fall, der beide bis an ihre Grenzen bringt. (© Text und Cover: btb Verlag)

Eine Psychotherapeutin, die tief in einen Fall involviert wird, das erinnert in der ruhigen Erzählweise zunächst an die Siri Bergmann-Reihe der Schwedinnen Camilla Grebe und Asa Träff, aber auch Michael Robothams Hauptfigur Joe O’Loughlin gerät immer wieder ins Fadenkreuz der Verfolger seiner Patienten.

Mit ihrem neuen Roman lädt die Autorin zu einem Wiedersehen mit ihren beiden sympathischen Protagonisten Tessa Ravens und Torben Koster ein. die im Vorgängerband “Nacht ohne Angst” den Mord in einer psychiatrischen Anstalt aufklären konnten. Kapitalverbrechen in derartiger Umgebung würden eigentlich einen Verlag dazu verleiten, das in letzter Zeit inflationäre Etikett “Psychothriller” zu verwenden, bei den Romanen von Anglique Mundt wurde dankenswerterweise darauf verzichtet. Bereits der Titel “Denn es wird kein Morgen geben” beansprucht als Relativsatz eine längere Wahrnehmungsdauer als die zahlreichen Ein-Wort-Titel aus dem Thriller-Genre, Erwartungen auf ein hohes Erzähltempo werden somit noch vor der ersten Seite gedrosselt. Auch im Determinativkompositum “Kriminalroman” tritt das Verbrechen lediglich als Determinans (das Bestimmende) auf, was exakt der Grundstimmung entspricht:

Der Mord am Beginn der Geschichte dient als auslösendes Element, er bringt den Stein ins Rollen. Obwohl seine Auflösung den roten Faden bildet, scheint diese im Gesamtkontext jedoch untergeordnet. Unweigerlich entsteht der Eindruck, die Tätersuche sei lediglich notwendiger Bestandteil der Dramaturgie. Viel größeren Wert legt die Autorin darauf, ihre berufliche Kernkompetenz als studierte Psychologin und Psychotherapeutin in den Roman einzubringen. Wie die Autorin selbst ist beispielsweise ihre Protagonistin Tessa Ravens Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes, das Erste Hilfe für seelische Verwundungen leistet. Obwohl die Überbringung einer Todesnachricht Teil der Polizeiarbeit ist, kann sie niemals Routine sein. Und so bereitet Tessa auch diesmal einen Beamten auf die unmögliche Aufgabe vor:
“Es gibt keine guten Worte. Sagen wir, was wir sagen müssen. Ihr Ehemann ist tot. Geben Sie ihr Gelegenheit, das zu verstehen. Dann sehen wir weiter.”
Auch die Sicht des Polizisten wird eingefangen: “Er war ausgewählt, Elisabeth Königs Welt zu zerschlagen. Und das war sicher keine Rolle, die ihm lag. Er litt schon im Wagen darunter.”

Wenn die Autorin auf Tessa Ravens und Torben Koster als Hauptfiguren setzt, kommt sie natürlich nicht an der aus beiderseitiger Sehnsucht geborenen Liebesbeziehung im ersten Teil vorbei. Geschickt entscheidet sie sich dabei für einen Neustart: Die beiden treffen nach einer Zeit beruflicher und privater Distanz erstmals wieder aufeinander, sind hin- und hergerissen zwischen professioneller Zusammenarbeit und emotionaler Verunsicherung. Endlich finden beide den Mut, ihre Gefühle in sperrige Worte zu fassen. Dabei gelingt es der Autorin meisterhaft, auch die nonverbale Kommunikation ins Blickfeld des Lesers zu rücken und damit die schwer zu ertragende Spannung zwischen den beiden noch zu steigern, die Sekunden zu Minuten zu dehnen. Jede beiläufige Geste, jedes unbewußte Zucken der Gesichtsmuskeln, jedes Nicken wird dabei eingefangen, wird durch die erzählerische Brennlinse überlebensgroß und mit Bedeutung aufgeheizt. Tessa und Torben manövrieren sich durch einen Sturm, der innere Leere schafft und die Hoffnung auf neues Glück hinterläßt.

Ein zentrales Thema des Romans ist auch der Umgang der fünfjährigen Tochter des Ermordeten mit dem Tod ihres Vaters. Von der Unfähigkeit zu begreifen über quälende Akzeptanz bis hin zu verzweifelten Hilferufen wird das Spektrum kindlicher Gefühle exakt erforscht.
Zunächst reagiert das Mädchen mit unwissendem Mitgefühl:

“Amelie schlug ihre Ärmchen um den Hals ihrer Mutter. ‘Ich bin auch traurig, Mami.’ Mein Gott, dachte Tessa, Kinder sind Weltmeister im Trösten.”
“Kommt Papa wieder?” fragt sie unsicher.
“Ist Papa gesterbt, weil ich nicht artig war?” artikuliert sie erste aufkeimende Schuldgefühle. 

Die feinsinnnige Schilderung rührt an das Innerste des Lesers, appelliert an seine Empathie. Schockierend, herzzerreißend, lebensecht die Hoffnungen des Mädchens:

“‘Wie findest du es, dass dein Papa im Himmel ist?” fragte Tessa vorsichtig und schaute Amelie dabei nicht an. ‘Toll! Die machen ihn ganz gesund, und dann kommt er zu mir zurück. Der liebe Gott kann das nämlich.'”

Die Autorin öffnet ein Tor in diese kindliche Welt, für die der Schmerz ein bösartiger Fremdkörper ist, macht den Leser aufnahmebereit für die zahlreichen Nuancen – um die folgende Wendung umso verstörender wirken zu lassen. Ein plötzlicher Schwall eiskalten Wassers mitten ins Gesicht, eine erzählerische Glanzleistung.
Darüberhinaus ist die Schwierigkeit des modernen Menschen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, sich selbst zu definieren, ein wiederkehrendes Thema: Anhand eines unter Zwangsvorstellungen leidenden Patienten erhält der Leser nicht nur Einblick in den psychotherapeutischen Alltag Tessa Ravens, sondern wird auch mit Fragestellungen wie den Umgang mit Ängsten konfrontiert. Inwieweit lassen wir zu, von ihnen definiert zu werden, wie bestimmen sie unser Handeln? Wo liegt die Grenze zwischen ihrer Schutzfunktion und ihrer Gefährlichkeit? Wie können wir ihnen unseren freien Willen entgegensetzen, wenn sie pathologisch werden?

An das von Ariadne von Schirach geprägte Schlagwort “oversexed and underfucked” erinnert die Diagnose von Angelique Mundt, die gesellschaftliche Stimmung sei in Bezug auf sexuelle Inhalte einerseits und entsprechende Phantasien andererseits überhitzt. Zerrissen zwischen implizit formulierten Normen und der Sensibilisierung gegenüber sexuell motivierten Verbrechen suchen viele nach Orientierung. Daß diese gefunden werden kann, daß eine Befreiung von neurotischen, die Freiheit einzwängenden Gedanken möglich ist, demonstriert die Autorin durch die erfolgreiche Behandlung des genannten Patienten. Somit kann sich der Leser nach Zuklappen des Buchdeckels nicht nur über eine interessante Geschichte freuen, sondern auch ein konstruktives Stück Zuversicht für das eigene Leben mitnehmen, das noch lange nach der Lektüre anhält.

 

Persönliches Fazit

Reißerische Spannung ist gewiß nicht das Markenzeichen von Angelique Mundt, dafür besticht sie wie bereist im ersten Teil um Tessa Ravens durch eine für einen Krimi ungewöhnlich feinen Pinselführung in der Figurenzeichnung.

© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner

 

Denn es wird kein Morgen geben
Angelique Mundt
Kriminalroman
btb Verlag - ISBN: 9783442746316
2015
Broschur, 320 Seiten
1 comment

Lust zum stöbern und entdecken?

1 comment

Gabi 6. April 2015 - 10:41

Wenn man wie ich viele Krimis und Thriller liest, dann sucht man immer auch nach etwas, das aus der Massenware heraus sticht. Ich glaube, diese Krimiserie (wenn man bei zwei Büchern schon von einer Serie sprechen kann) hat Aspekte, die mir sehr gut gefallen werden. Danke für den Tipp.
LG Gabi

Reply

Schreibe uns Deine Meinung