Rezension: Herzsammler | Stefan Ahnhem

by Wolfgang Brandner
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Stockholm, Metropole des Nordens. Fabian Risk wollte eigentlich mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Doch dann taucht die brutal zugerichtete Leiche des Justizministers auf, und Risk wird um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten. Es bleibt nicht bei einem Opfer. Die einzige Verbindung zwischen den Toten: Jedem wurde ein Organ geraubt. Als ein Verdächtiger Selbstmord begeht, glauben Risks Kollegen, den Fall gelöst zu haben. Nur Risk hat Zweifel. Er hat eine Vermutung, was eigentlich hinter alldem steckt. Und er ahnt, dass der Mörder mit seinem Rachefeldzug noch lange nicht fertig ist … [Text + Cover: Ullstein Verlag]

Es ist eine ungeschriebene Regel für Rezensionen, die Pointe des rezensierten Werkes nicht auf dem Silbertablett zu servieren. Dennoch sei gegen diese Regel hier verstoßen:

Die Welt ist schlecht.

Wie ein reißender Strom tendiert sie zum Schlechten, wenn man Gutes erreichen will, muß man in einer übermenschlichen Kraftanstrengung gegen diesen Strom schwimmen. Und selbst dann kann jeder Erfolg nur ein Teilerfolg, jeder Sieg nur ein Pyrrhussieg sein, da das Übel besser vernetzt ist und über mehr Ressourcen verfügt als diejenigen, die es bekämpfen.

Das ist kurz zusammengefaßt der Kern, die Grundstimmung des zweiten Romans des schwedischen Autors Stefan Ahnhem, dessen Hauptfigur Kommissar Fabian Risk bereits in “Und morgen du” als potentielles Opfer eines Serienmörders eingeführt wurde. Zu dieser paßt auch die Jahreszeit der Handlung, kurz vor Weihnachten. Es sind jene emotional beladenen Tage, in denen seelische Narben eher aufbrechen als in der in der Sommersonne, in denen die Grenzen zwischen Licht und Schatten scharf gezogen sind und Schweden im eisigen Griff der winterlichen Kälte gefangen ist.

Um den Roman mit mehreren Sinnen zu vermitteln, liefert der Autor auch gleich den passenden Soundtrack mit. Fabian Risk läßt sich vorzugsweise von melancholischen Indie-Rock-Titeln etwa von Arcade Fire oder Broken Social Sense aus dem Autoradio berieseln. Mit dem Bild des Verbrechens als vielköpfige unbezwingbare Hydra im Kopf entsteht dabei auf dem Weg durch die schattenreiche Stadt eine Atmosphäre, wie man sie aus den Filmen von Micheal Mann kennt. Wie kleine Hommagen flicht der Autor ergänzend immer wieder Anspielungen auf Krimis mit skandiavischen Schauplätzen (etwa von David Hewson oder Jussi Adler-Olsen) ein und läßt auch nicht vergessen, daß wir uns im Jahr 2009 befinden, wo Schnurlostelephone weit verbreitet sind und “Avatar” im Kino gespielt wird.

Der brutale Mord an einem Minister schockiert das Land, die Art, wie sein Körper zugerichtet ist, läßt auf ein rituelles oder sehr persönliches Motiv schließen. Nach mühsamen Ermittlungen wird ein möglicher Täter gefaßt, der in der Vergangenheit bereits ähnlich bestialischer Verbrechen verdächtigt wurde. Der Fall scheint gelöst, doch aufgrund der verbleibenden Seiten im Buch weiß der Leser natürlich, daß dem noch lange nicht so ist. Zudem ist parallel zu den schwedischen Ermittlern die dänische Polizistin Dunja Hougaard mit einer Serie ähnlich grausamer Morde konfrontiert. Daß die Fälle miteinander verbunden sind, liegt auf der Hand, doch bis kurz vor Ende bleibt das Wesen dieser Verbindung verborgen.

Erschwerend zur rätselhaften Grausamkeit gesellen sich private und dienstliche Stolpersteine, die der Autor mit beinahe sadistischem Vergnügen seinen Protagonisten vor die Füße wirft. Während Fabians Vorgesetzter selbst in die Morde verstrickt scheint, muß sich Dunja gegen die sexistischen Avancen des ihren zur Wehr setzen. Während – wie in schwedischen Krimis üblich – Fabians Familienleben stark unter seinem Beruf leidet, wird Dunja von schmerzhaften Verletzungen in ihrer Beziehung aus der Bahn geworfen.

Stilistisch treibt der Autor das Prinzip offener Kapitelenden zum äußersten, sodaß der Roman aufgrund der Menge an Cliffhangern wie ein belletristischer Klettergarten der höchsten Schwierigkeitsstufe anmutet. Nichtsdestotrotz geht der Plan auf, der Leser steht permanent unter Strom. Mit Passagen wie “Keine von beiden sagte ein Wort. Worte waren nicht mehr notwendig. Die Blicke waren genug.” wird gekonnt Spannung aufgebaut, die in Kapitelenden kulminiert, die etwa folgendermaßen lauten: “Während die beiden anderen sie wegschoben, begriff sie, wer der eine Mann war.”

Ein Wermutstropfen ist die deutsche Bearbeitung des Romans. Die wörtliche Übersetzung des Originaltitels lautet “Das neute Grab”, das einen viel subtileren Bezug zum Inhalt darstellt als die deutsche Fassung. Das gewählte “Herzsammler” deutet nämlich auf die den Mordopfern entnommenen Organe hin, die Ahnungen des Lesers werden also bereits in eine bestimmte Richtung gedrängt. Diese erweist sich jedoch als nicht gänzlich richtig, sodaß man mit gefährlichem Halbwissen vermeint, den handelnden Personen voraus zu sein. Dem Lesevergnügen ebenfalls nicht zuträglich ist die Übersetzung, die von einer regionalen Form der deutschen Umgangssprache geprägt ist.

 

Persönliches Fazit

Herzsammler ist ein hartes, kaltes Stück schwedischer Spannungsliteratur, bei dem sich allzu oft die Frage aufdrängt, ob die Grausamkeit der geschilderten Verbrechen tatsächlich zur Qualität des Inhalts beiträgt.

© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner

 

Herzsammler
Stefan Ahnhem (Aus dem Schwedischen übersetzt von Katrin Frey)
Kriminalroman
Ullstein Verlag - ISBN: 9783471351116
2015
576 Seiten
3 comments

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3 comments

Ruby Celtic 11. August 2015 - 14:53

Herzlichen Glückwunsch ;o)

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Chaosbibliothek 11. August 2015 - 18:44

Gratuliere. 🙂

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Corinna 11. August 2015 - 20:05

Oh ja! Das war wirklich ein äußerst gelungener Abend, unterhaltsam und lustig nicht nur Dank der großartigen Darbietung Lars Simons, sondern auch Dank der tollen Zuhörer. Immer wieder gerne!
Liebste Grüße von der juchzenden Gewinnerin Corinna ;O)))))

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